Kinderkurheim Sonnhalde

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Meine Memoiren

Kappel, ich werde dich immer wieder besuchen, mich deiner Harmonie und deinem Zauber hingeben. Auch wenn meine erste Begegnung mit dir eher zwiespältig ausfiel und die gequälte Kinderseele noch nach Jahren manchen Aufschrei tat sowie mir die oft schrillen Worte der Betreuerin heute noch in den Ohren klingen: Hans, mach doch endlich deine Augen auf!"
Ich, Hans-Gerhard Maiwald, geb. am 24.04.1948, möchte hiermit meine Erlebnisse im Kinderkurheim Sonnhalde, Anno Sommer 1958, schildern. Als damals 10-jähriger Junge war ich irgendwie anders als meine Klassenkameraden und Altersgenossen. Nicht so lebhaft und aufgeweckt, eher romantisch zart besaitet und etwas verträumt - ein schüchternes Knäblein, das lange gehänselt und gefoppt wurde.
Es war noch lange vor dem Heimaufenthalt auf einem Schulausflug in den Heimatort meiner damaligen, sehr konservativen Klassenlehrerin. Wir wanderten zu den Wiesen und sahen den Frauen und Männern zu, die grade beim Heumachen waren. Durch die Wiesen floß ein Bächlein, das anheimelnd vor sich hinplätscherte. Viele von uns Jungen tobten herum, neckten und rauften sich, dem ich jedoch nichts abgewinnen konnte. Schon bald entfernte ich mich ein paar Meter von der Gruppe, lief zu dem Bächlein, legte mich dort ans Ufer und sah den springenden Wellen zu. Ich schloss die Augen und fing an zu träumen...
Hans, was liegst du hier herum und träumst?" Es war die laute Stimme meiner Lehrerin, die mich kopfschüttelnd ansah und mich bat, doch zurück zu den anderen Jungs zu gehen.
Hier ist es doch so schön", sagte ich, doch leider musste ich gehorchen. Als mich die Klassenkameraden auslachten und neckten, entfernte ich mich erneut und ging zu dem Bächlein zurück. Diesmal dauerte es etwas länger, als die Lehrerin zurück kehrte und mich nun energischer aufforderte, hier nicht mehr zu verweilen. Ich senkte meinen Kopf und weinte. Was hatte ich denn schlimmes gemacht?
Beim nächsten Elternsprechtag bekamen meine Eltern diese doch harmlose Begebenheit aufgetischt. Was ich für ein Träumer sei? Vorwurfsvoll reagierten auch meine Eltern. Während die Kameraden getobt hätten, sei ich an dem Wässerle gelegen! Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich war einfach nicht der selbstbewusste und aufgeweckte Bub, den sie sich wünschten. In den 50er/60er Jahren herrschte - über ein Jahrzehnt nach dem 2. Weltkrieg - eine gewisse Konservativität und Strenge, die oft bitter und ungerecht war. Nur, wer schon als Kind selbstbewusst und auch nicht auf den Mund gefallen war, konnte damit fertig werden.
Im Laufe der folgenden Jahre entstand in unserer Region ein gewisser Trend, Kinder zu einem Erholungsaufenthalt in diverse Kinderkurheime zu verschicken, auch wenn dies in einigen Fällen nicht erforderlich erschien. Besonders die Klassenlehrer/innen waren davon in keiner Weise begeistert; geschah dies doch außerhalb der Schulferien, und die Kinder wurden aus dem laufenden Unterricht heraus gerissen. Auch ich war einer dieser „Auserwählten", man erhoffte davon Linderung meines Bronchial-Asthmas. Der Kreisarzt untersuchte mich kurz und sagte nur ein Wort: „Schwarzwald". Als es soweit war, wurde ich samt Koffer mit noch weiteren Kindern in einem die Nacht über fahrenden Zug gesteckt; ein Mann und eine Frau waren unsere Betreuer, an die wir uns bei irgendwelchen Problemen wenden sollten.
Im Zug konnte ich nicht schlafen, ich weinte und war voller Unruhe. In den frühen Morgenstunden rollte der Zug im ehemaligen Bahnhof Kappel-Grünwald ein (über diese Strecke führt heute der Bähnle-Radweg). Draußen wartete schon ein Kleinbus, in den wir umgehend „verfrachtet" wurden; es war wohl der Kinderheim-Leiter Hanns Eßer, der den Bus steuerte. Ab ging die Fahrt zum etwa 500 Meter höher befindlichen Kinderkurheim „Sonnhalde". Flugs mussten wir aussteigen und durch die große Haustüre in den Flur. Keine Begrüßung, kein herzliches Willkommen, dafür jedoch schrille Worte von den Kindertanten oder Betreuerinnen: „Los los, die Schuhe ausziehn, aber dalli!". Unsere Klamotten wurden von den Tanten in ziemlich engen Schrankfächern verstaut, die sich ein Stockwerk höher auf den Fluren der Schlafzimmer befanden. Das von den Eltern mitgegebene Geld wurde gleich von den Betreuerinnen in Gewahrsam genommen - nichts aber auch gar nichts konnten wir sagen oder fragen: Vogel friß oder stirb!
Anfangs fand ich meine Sachen nicht in den engen Wäscheschränken: „Ich hab alles in deinen Schrank getan", hieß es kurz. Dann endlich fand ich meinen Kamm. Wie streng die „Essordnung" war, sollten wir bald kennenlernen. Grundsätzlich war alles aufzuessen, was auf den Tisch kam, egal ob wir das Zeug hinunterbekamen oder auch nicht.

(Fortsetzung folgt)